Seilschwingen am Abgrund

VON OLIVER CECH, 30.07.04, 07:04h
 

Polle Wilbert hat ihr Stück „Sieben Monde“ für eine Schwangere auf einem Hoteldach geschrieben.

An einem lauen Sommerabend auf dem Dach des Crowne Plaza, zehn Stockwerke über dem Getriebe der Stadt. Man sitzt auf Wohnzimmersofas, umgeben von ausgestopften Tieren und dem Publikum: junge, tiefbraune Menschen, jeder kennt jeden. Dazu erklingt ein wenig Retro-Pop. Das hat etwas Surreales, höchst Entspannendes, etwas von „Ferienlager“ - wie die Veranstalter ihre Theaterreihe nennen.

Doch mit dem Ort beginnen auch die Schwierigkeiten der Uraufführung von Polle Wilberts „Sieben Monde“. Hier oben schwingt rein gar nichts, läuft alles ins Leere, der Wind trägt die Akustik davon und die Weite den Sinn. Das hat offenbar auch die Regisseurin Philine Velhagen gemerkt und hält nach Kräften dagegen, allerdings mit den falschen Mitteln.

„Sieben Monde“, der Monolog einer Hochschwangeren auf einem Hoteldach, ist genau für diese Situation und, mehr noch, der schwangeren Schauspielerin Angelika Krautzberger auf den Leib geschrieben. Das alles legt eine Inszenierung nahe, die psychologischen Realismus anstrebt und damit spielt, das Publikum zum Zeugen eines Seelendramas zu machen. Indes, Judit, die hadernde Schwangere, magisch angezogen vom Rand des Hochhausdachs, kommt im Bärenkostüm auf die Bühne! Dort veranstaltet sie einen Diaabend, schwingt an elastischen Seilen das Gitter entlang, das die Plattform vom Abgrund trennt, bedient eine Musikanlage, greift zum Mikrofon.

Offenbar hat Velhagen dem Text nicht getraut, gerade hier oben nicht, wo alles ins Leere läuft, und setzt einen Aktionismus dagegen, der Wilberts Text tatsächlich alle Wirksamkeit raubt. Das Stück selbst ist einfach gebaut. Es führt eine Schwangere am Rande des Nervenzusammenbruchs vor, und allzu schnell wird klar, um welche Art von Fehltritt es sich handelt. Als zusätzliche Spur legt Wilbert einen - halbherzigen - Generationenkonflikt an: wir, die Kinder der Siebziger, gegen unsere Eltern, die Revolution machten 1968.

In diesem Geflecht zeigt Angelika Krautzberger eine weite Palette von Tonlagen und viel physischen Einsatz; ihr Talent fürs Komödiantische hilft über manchen Bruch im Spannungsbogen hinweg. Doch das Seelendrama kann sie nicht glaubhaft machen. Nicht auf dieser Plattform, auf der das Gewühl des Lebens seine Wirklichkeit verliert, und nicht in dieser Regie, die gegen die Leere ankämpft, statt sie zur dramaturgischen Stärke zu machen.
 

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